Für alle statt für wenige


Vernehmlassungsantwort zum Autobahnanschluss Minus

22.Oktober.2017

Wie schon dem Titel entnommen werden kann, teilt die SP die Euphorie um dieses Projekt in keiner Weise. Im Gegenteil, wir sind entschiedene Gegner dieses Autobahnanschlusses. Und dies gleich vorneweg: Wir sind nicht einfach prinzipiell gegen neue Strassen. Das Problem der drohenden Zweiteilung unseres Siedlungsraums durch die SBB Bahnschranken anerkennen wir. Und so haben wir sowohl den Baukredit für die Rorschacher Bäumlistorkel-Unterführung als auch den Planungskredit für die Zentrumsentwicklung in Goldach gutgeheissen.

Wer Strassen baut, wird (Auto)-Verkehr ernten. Diese Binsenwahrheit gilt auch für diesen A1-Anschluss. Diese neue Hochleistungsstrasse ist eine grandiose Einladung für die Autofahrer. Sie werden dieses Angebot zu nutzen wissen. Ein überproportionaler MIV-Zuwachs wird die Folge sein. Genau jener Verkehrsträger also, der die grössten Verkehrsprobleme verursacht, der wird nun mit einem 200 Mio Projekt gefördert. Damit wir noch mehr Verkehrsprobleme generieren. Denn eines ist klar: Die Autos auf dem Autobahnzubringer verlassen irgendwann diese Strasse und dann ergiessen sie sich in die Quartiere. Neue Staus sind vorprogrammiert. Kommt dann der nächste Anschluss?

In den offiziellen Verlautbarungen ist oft von der nötigen „Entwicklung der Region“ die Rede. Sind wir denn unterentwickelt? Ist ein Gebiet erst entwickelt, wenn alles verbetoniert ist? Sind Lärm und Abgase wirklich die Ingredienzen für Lebensqualität? Dieser Autobahnzubringer wird nicht nur für Direktbetroffene schmerzlich spürbar werden. Lärm und Abgase werden grosse Teile unseres Siedlungsgebietes tangieren. Auch der Masterplan verfolgt diese Technokraten-Maxime, wonach
ein Gebiet erst als vollwertig entwickelt gilt, wenn es vollständig überbaut ist. Dabei sind es gerade die Freiflächen, die unserem Lebensraum zunehmend abgehen: Plätze, Parks, Naturflächen. Welche Art von „Entwicklung“ uns ein Autobahnanschluss bescheren wird, dazu gibt es doch genügend Anschauungsbeispiele: Die Ausfallachsen der nächsten Anschlüsse im Siedlungsgebiet St.Gallen (Neudorf, Rosenberg, Winkeln) haben eines gemeinsam: Sie sind alle an Hässlichkeit nicht zu überbieten. Diese Gebiete wurden alle zu Unorten degradiert. Wer will sich dort noch freiwillig aufhalten? Erhofft man sich tatsächlich Prosperität von Lidl, Aldi und Konsorten? Sind Firmen wie ein Sanitärgrosshandel der Schlüssel zum Wohlergehen unserer Region? Natürlich wollen auch wir von der SP Arbeitsplätze in unserer Region. Die Region Stadt am See muss auch Werkplatz sein. Aber nach unserer Ansicht erfordert dies keineswegs einen neuen A1-Anschluss.

Für ein Industriegebiet mag ein Autobahnanschluss von Nutzen sein. Die Frage ist nur, ob die Industriezone an dieser zentralen Lage von Bestand ist, ganz abgesehen von den aktuellen Arbeitsplatzabbauplänen der Nestlé, resp. deren Joint-Venture „Froneri“. Aus raumplanerischer Sicht ist diese Industriezone nämlich offensichtlich falsch. Sie gehört eigentlich an die Peripherie, z.B. ins Goldacher Schuppisareal. Für die Region ist dieses Gebiet im Herzen der 3 Gemeinden von grosser Bedeutung. Neben Wohn-/Gewerbenutzungen eignet sich dieses zentrale und gut erschlossene Gebiet insbesondere auch für öffentliche Bauten und Freiräume. Wo wird wohl dereinst das neue Rathaus für die „Stadt am See“ gebaut werden? Und wo wird der erste Stadtpark angelegt werden? Genau in diesem Gebiet. Und ausgerechnet in dieses wertvolle Zukunftsgebiet soll eine 20’000 DTV-Schneise geschlagen werden? Diese Strasse ist eine siedlungstechnische Sünde allerersten Ranges. Man spricht von Entwicklung, in Tat und Wahrheit wird ein Gebiet abgewertet. Wer will schon an einer Hochleistungsstrasse wohnen? Gibt es jemanden unter den Projektverantwortlichen, der seinen Wohnsitz an die St. Galler Strasse – einer Strasse mit vergleichbarem DTV – verlegen will?

Abgewertet wird insbesondere aber auch die Landschaft oberhalb der Sulzstrasse. Zuerst wird ein schönes Stück Wald gerodet. Ausgerechnet im Witenwald, einer wichtigen Naherholungszone. Diese Landschafts-Verschandelung findet ihre Fortsetzung im Tunnelportal inmitten einer intakten Grünfläche und an einem sensiblen Ort. Der Hohrain, einer der schönsten Aussichtspunkte unserer Region wird durch diese Strasse kaputtgemacht. Wir rühmen uns dauernd unserer privilegierten Lage am Ufer von einem der grössten Binnenseen Europas. Und jetzt soll ausgerechnet dort ein Hauptverkehrstrassee für den MIV gebaut werden. Wir entwerten unsere Landschaft unwiederbringlich mit diesem Projekt. Andere schauen neidisch auf diese spektakuläre Landschaft – und wir bauen eine Hochleistungsstrasse – mit Seesicht. Herr Strauss vom AREG hat am behördlichen Werbeabend zu Recht erwähnt, dass eine Wohnüberbauung aus raumplanerischer Sicht an diesem Hang nicht in Frage kommt. Wohnhäuser dürfen nicht gebaut werden, aber eine Hochleistungsstrasse schon? Das ist schon einigermassen absurd.

Im Werbeprospekt und auch am Werbeabend wird immer mit dem Schlagwort des „Gesamtverkehrsprojekts“ operiert. Man hat dem Projekt Autobahnzubringer noch ein universelles Mäntelchen verpasst, um die Akzeptanz zu erhöhen. Im Werbeprospekt findet sich denn auch keine einzige Visualisierung der Strasse – immerhin der Kern des Projekts. Nein, es werden idyllisierende Bilder vom Bahnhofplatz Goldach, vom Stadtwald und von der Rorschacher Innenstadt gezeigt. Mit Omis samt Kinderwagen, mit einer strahlenden Velofahrerin und mit einem sich herzenden Paar. Eines aber sieht man nicht: Autos. Und das ist gelinde gesagt doch eigenartig. Man baut eine Strasse mit 24’800 Autos pro Tag, in der Werbebroschüre sieht man aber eines nicht: Autos. Die Bilder haben nichts, aber auch gar nichts mit dem A1-Anschluss zu tun. Stattdessen wird eine subtile Werbebotschaft platziert, wonach diese herzige Idylle eben nur mit dem Autobahnanschluss gewährleistet werden kann. Das ist behördliche Propaganda. Wieso wurde nicht die Visualisierung des Vollanschlusses oder des Sulzstrasse-Knotens gezeigt? Bei einem Schulhausprojekt
werden auch die Ansichten des Hauses visualisiert – und nicht der Kirchplatz ein paar Hundert Meter weiter entfernt. Der Grund ist natürlich klar: Eine korrekte Darstellung dieser Strassenmonströsitäten wäre für die Lancierung des Projektes kontraproduktiv. Also lässt man diese essentiellen Aussagen einfach weg und zeigt irgendwelche Bilder von irgendwelchen Omis. Das finden wir nicht in Ordnung.

Wir sind der Ansicht, dass bereits mit den beiden genannten Projekten unsere eigentliche Verkehrsfriktion, nämlich die Nord-Südverbindung über das SBB-Trassee langfristig gelöst werden kann. Umso weniger begreifen wir, dass mit dem Projekt eines neuen A1-Anschlusses nicht zugewartet wird, bis die Erkenntnisse aus dem laufenden Betrieb der beiden innerörtlichen Grossprojekte vorliegen. Der Autobahnanschluss hat nämlich keinen kausalen Zusammenhang, weder mit dem Projekt Bäumlistorkel noch mit der Zentrumsentwicklung Goldach. Dies hat Dominik Gemperli in seiner Ansprache am Werbeabend klar und deutlich gesagt. Für diese Fairness möchten wir uns an dieser Stelle auch bedanken.

Wir sind in grosser Sorge, dass mit dieser Hochleistungsstrasse die Lebensqualität in unserer Region leiden wird. Und wir glauben auch, dass der Stadtrat einer fusionierten „Stadt am See“ dieses Projekt nicht forciert hätte: In den Sechziger-/Siebzigerjahren wurden viele solcher urbanen Autobahnanschlüsse geplant, der kleinere Teil davon auch gebaut. Und diese Städte leiden noch immer daran. In diesen Jahren wurden z.B. im St.Galler – Klosterbezirk diverse solcher Strassenprojekte
verfolgt. Keines wurde realisiert. Zum Glück. Heute ist in der südlichen Altstadt eine Begegnungszone installiert, mit unabsehbaren Qualitäten für alle. Offensichtlich hat die Stadt St. Gallen einen wichtigen Teil ihrer Stadt mustergültig aufgewertet. Und dafür waren keine neuen Strassen nötig, im Gegenteil. Das ist Siedlungsentwicklung im besten Sinne des Wortes.

Peter Buschor, Präsident SP Rorschach Stadt am See




SP vor Ort